Band: Immanu El
Album: Hibernation
VÖ: 25.11.2016
Label: Glitterhouse Records / Indigo
Website: www.immanu-el.com
In fünf Jahren kann viel passieren. Kinder lernen laufen und sprechen, Menschen verlieben sich oder leben sich auseinander, Fußballvereine steigen in die erste Liga auf, wieder ab, dann wieder auf. Fünf Jahre sind im echten Leben schon eine lange Zeit. Im Musikgeschäft aber ist das eine Ewigkeit. Fünf Jahre ist das letzte und dritte Album „In Passage“ der Schweden von Immanu El mittlerweile alt. Und natürlich hört man ihrer neuen Platte „Hibernation“ die Zeit an, die seitdem verstrichen ist. Wie könnte man nicht?
Sänger Claes Strängberg und seine vier Bandkollegen hätten es gern anders gehabt, hätten gern ihren Rhythmus beibehalten: Alle zwei Jahre ein Album veröffentlichen und anschließend so viele Shows wie möglich spielen, bis es wieder Zeit ist, sich das nächste auszudenken. Aber es sollte nicht sein.
Die Misere begann eines Abends im Jahr 2012 bei einem Konzert der Band in ihrer Wahlheimat Göteborg. Plötzlich stand neben Immanu El auch eine Gruppe Polizisten auf der Bühne und zog die Stecker. Sie waren der Meinung, die Band hätte keine Genehmigung, bei der Veranstaltung Alkohol auszuschenken und schickte bald darauf den Bußgeldbescheid mit einer saftigen Strafe. Immanu El wollten und konnten nicht zahlen. Zudem stand die erste USA-Tour der Band vor der Tür und sie wussten, würden sie sich schuldig bekennen, könnten sie Probleme bei der Einreise in die pingeligen Staaten bekommen. Also legten sie Einspruch ein, der sich in ein Gerichtsverfahren entwickelte und erst zwei ganze Jahre später nach unzähligen Anhörungen und Bergen von Papierkram in einem Freispruch vor dem obersten Gerichtshof endete.
„Der Rechtsstreit war ein Energie-Blutsauger“, sagt Sänger Claes. „Wir fühlten uns wie gelähmt und es war gar nicht daran zu denken, neue Musik zu schreiben.“ Kein Wunder also, dass die Band darauf brannte ein neues Album zu schreiben, als die Sache endlich ausgestanden war. Nur wo sollten sie anfangen? Die Genregrenzen des Postrock hatten sie bereits mit dem letzten Album „In Passage“ hinter sich gelassen, waren poppiger geworden, fokussierter. Die neuen Songs sollten diese Entwicklung weiterführen, sollten moderner, ja elektronischer klingen. „Die letzten Alben hatten wir jeweils in ein paar Tagen live eingespielt. Für die neuen Songs wäre das nicht der richtige Weg gewesen“, ist sich Claes sicher. Also beschlossen Immanu El zum ersten Mal in ihrer Karriere einen Produzenten damit zu beauftragen, ihnen zu helfen, ihre Vision für „Hibernation“ auszuarbeiten. Auf der Wunschliste für den Job ganz oben stand Johan Eckeborn, der sich zuletzt für seine Arbeit mit Jonathan Johansson und dessen Album „Lebensraum!“ eine Grammy-Nominierung abgeholt hatte. Mit ihm an Bord nahm die Arbeit an „Hibernation“ endlich Fahrt auf.
„Weeks turn to months, turn to years / We hibernate wide awake“ (Winter Solstice)
Tatsächlich sind die neuen Immanu-El-Songs fokussierter als je zuvor. Auf den letzten Alben deutete die Band oft nur an, wie viel Pop in ihnen steckt und schmückte die Melodien und Refrains geschickt mit ausladenden Arrangements aus. Die neuen Songs wie „Voices“, „Winter Solstice“ und „Omega“ kommen dagegen schnell auf den Punkt und setzen ihre fast schon radiotauglichen Refrains gekonnt in Szene. Der Versuchung, ihre Songs dramaturgisch auszuschmücken, haben Immanu El diesmal ganz bewusst widerstanden. Eine mutige Entscheidung, denn offenbaren simple Pop-Strukturen schnell Schwächen im Songwriting. Nicht so bei „Hibernation“. Dazu klingen die Schweden trotz der musikalischen Entwicklung immer noch ganz wie sie selbst.
Sänger Claes gibt sich bescheiden: „Wir wollten uns weiterentwickeln aber natürlich auch nicht wieder bei null anfangen“, erklärt er. Er sieht in der Platte „vor allem eine Trotzreaktion auf das, was uns in den letzten Jahren aufgehalten hat. Wir waren uns alle einig, dass wir jetzt erst recht ein Album aufnehmen wollten, das uns selber umhaut!“
Dass „Hibernation“ existiert, ist am Ende aber nicht allein Immanu El zu verdanken, sondern auch ihren Fans: Als die Arbeit am Album fast vollendet war, musste die Band feststellen, dass die letzten Monate die Bandkasse geplündert hatten. Sie waren blank. Um die Platte veröffentlichen zu können, starteten sie eine Crowdfunding-Kampagne und hofften auf die Hilfe und das Vertrauen ihrer Anhänger. Obwohl die seit fünf Jahren keinen neuen Song gehört hatten, finanzierten sie innerhalb weniger Wochen sogar mehr, als Immanu El als Ziel ausgeschrieben hatten. Claes ist immer noch überwältigt: „In den letzten fünf Jahren waren wir zeitweise wirklich unsicher, wie es weitergeht“, sagt er. „Dass dann so viele Leute das neue Album hören und dafür sogar etwas spenden wollten, hat uns unfassbar motiviert.“ Die Erfahrung beschreibt er als die wichtigste und lehrreichste, die Immanu El jemals erlebt haben: „Als Band kann man schnell zu viel Zeit damit verbringen zu versuchen, eine möglichst coole Band zu sein“, sagt er lachend. „Dabei vergisst man manchmal, was das coolste überhaupt ist: Wenn den Leuten deine Band am Herzen liegt.“
Hibernation erscheint am 25.11.2016 bei Glitterhouse Records.
„Voices“:
Als einer der ersten Songs, die Immanu El für „Hibernation“ geschrieben haben, ist „Voices“ so etwas wie die Verbindung des Albums zu seinem Vorgänger „In Passage“. Das rhythmische Fundament des Songs ist noch nah am Postrock und deutet einen nahenden Ausbruch an. Doch ist dieser kein ausladender Instrumentalpart, sondern ein Refrain, der den Song öffnet wie ein Fenster, durch das nach langem Winter zum ersten Mal der Frühling hereinweht. „Textlich handelt der Song von einem Freund von mir, dem im Traum Engel erschienen sind“, erzählt Sänger Claes Strängberg. „Über Wochen hatte er immer wieder denselben Traum und die Engel sangen ihm im Schlaf etwas vor. Weil ihn diese Träume so mitnahmen, konnte er sich nicht auf sein Studium konzentrieren und musste schließlich die Engel bitten, ihn in Ruhe zu lassen… Keine Ahnung, ob er sich das ausgedacht hat, aber mich hat diese Geschichte echt beeindruckt.“
„Omega“:
„Omega“ ist vielleicht der poppigste Song, den Immanu El bisher geschrieben haben. Dazu gehört Mut, denn an so einem „Statement“, wie Sänger Claes Strängberg den Song nennt, ist nichts, wohinter man sich verstecken könnte. Der Versuchung, ihre Songs mit ausladender Dramaturgie und breiten Arrangements auszuschmücken, haben Immanu El auf ihrem neuen Album „Hibernation“ ganz bewusst widerstanden. Und während viele Bands scheitern, weil die Vereinfachung Schwächen im Songwriting offenlegt, nutzen die Schweden es als Möglichkeit, umso heller zu strahlen. Bei all dem Wohlklang zeichnet „Omega“ aber auch ein dunkles Bild unserer Gesellschaft: „Der Song ist inspiriert von dem Problem der heutigen Zeit, sich nie zufrieden geben zu wollen“, erzählt Claes. „Wir sind getrieben von der Gier nach Geld und Status und dadurch unendlich gestresst und unglücklich. Das beunruhigt mich sehr, weil ich nicht weiß, worauf das noch hinauslaufen soll.“