Band: Chantal Acda
Album: Saturday Moon
VÖ: 26.03.2021
Label/Vertrieb: Glitterhouse/Indigo
Website: https://chantalacda.com
Anfang 2000 stand ich in San Sebastian auf derselben Bühne wie Chantal Acda und ihre Band Sleeping Dog. An diesem Abend in Spanien hört ich sie zum ersten Mal singen und spielen. Bei Chantals Auftritt stockte mir der Atem. Ich dachte an Sandy Denny, an Cat Power, Van Morrison und jede Stimme, die mir je Tränen entlockte und ein Licht aufzeigte. So besonders, so unverstellt war sie, eine echte Ausnahmebegabung, und die folgenden Jahre sollten ihre Talente nur noch heller erststrahlen lassen.
Schließlich fanden Chantal, der Schlagzeuger Eric Thielemans und ich uns zu einem Trio zusammen, das wir Distance, Light & Sky nannten. Wenn wir eines dieser Worte einem Bandmitglied zuordnen müssten, dann wäre »Sky« wohl die passende Wahl für Chantal. Kein Ort auf der Welt ist ihr lieber als Island, mit seinen unendlichen, zum Himmel weit offenen Horizonten. Manchmal klingen diese Orte und die tiefempfundene Ehrfurcht für sie in Chantals Musik nach. Da ist eine hart erarbeitete Zuversicht in ihren Songs. Selbst in den traurigsten von ihnen, lässt sie uns nicht aufgeben. Sie motiviert uns dazu, weiterzusuchen, bis wir unser Zuhause gefunden haben – und mag es noch so abgelegen sein. Am Rand dessen, was wir kennen.
Chantals vorherige Solo-Alben wurden beide von zwei Koryphäen der sogenannten »Neoklassik« (Nils Frahm beziehungsweise Peter Broderick) produziert. Verglichen mit diesen makellosen Geschwistern, ist »Saturday Moon« ein Wolfskind – und gerade deshalb umso stärker geraten. Nun wird alle Vorsicht über Bord geworfen und auf den Instinkt vertraut: Ohne Scheu, sich die Hände schmutzig zu machen, geht es beherzt zur Sache. Im Gespräch über das Album ließ Chantal mir gegenüber keinen Zweifel daran, dass dieser neue Ton nicht weniger beabsichtigt war, als der Weg dahin: Sie fällte den Entschluss, das Album selbst zu produzieren, um die Klarheit und Freiheit ihrer Vision zu schützen.
»Als ich damit anfing, hatte ich eine sehr klare und einfache, wenn auch auf gewisse Weise immer noch sehr strukturierte Vorstellung: ein Mikrofon und nur ich im Raum. Das war’s. Zur Abwechslung ausschließlich simple 4-Minuten-Songs. Doch dann fühlte ich mich zunehmend allein. Ich suchte den Austausch mit Menschen, die mich musikalisch begeistern. Ohne, dass mich jemand produziert oder gestoppt hätte. Dieses Gefühl, sich gehen zu lassen, war großartig. Damit zelebrierte ich einen Teil von mir, dier eher chaotisch, unrational und impulsiv ist. Und damit wohl einen Teil von mir, den ich musikalisch vernachlässigt habe.«
Schon im Opener und Titeltrack »Saturday Moon« klingt die Musik wie befreit und strotzt vom ersten Ton an vor Ideen. Eric Thielemans geschmeidiger Drum-Groove unterfüttert die ornamentalen Soukous-Figuren von Gitarrist Rodriguez Vangama, ein sanftes Bett für die im Refrain himmelhochfliegenden Lautmalereien der Sängerin. Eine unorthodoxe Mischung, die dank Chantals souveränem Songwriting, Arrangement und stimmlicher Präsenz eine stimmige Eleganz behält.
Das Album überrascht auf ganzer Länge, es bietet immer wieder neue Wendungen und kontert Erwartungen. Sei es durch unerwartete Klänge wie den Guitarsynth von Lows Alan Sparhawk in »Disappear«, einem Song, der im Tosen eines elektrischen Tornados endet und dessen Backgroundgesang Alans Bandpartnerin Mimi besteuert. Oder durch das atmosphärische Spiel von Bill Frisell, der sich gleich bei zwei Songs in einen filigranen Dialog begibt, während der sechssaitige Bass von Shahzad Ismaily (u.a. Tom Waits, Marc Ribot) ruhelos die Dunkelheit von »Conflict of Minds« durchbricht.
Auf dem Album sind insgesamt achtzehn Musiker*innen zu hören. Auch Streicher, Bläser, Kontrabass und Piano fließen sind miteingeflossen in dieses kaleidoskopische Geflecht, indem sich Menschliches und Allzumenschliches die Waage halten. Klarheit und Zufälligkeit. Verdruss und Hochgefühl. Verlust und Erwachen. Das Persönliche und das Gemeinschaftliche.
Über die Vielfalt der klanglichen Gestaltwechsel und der emotionalen Themen auf »Saturday Moon« hat Chantal vielleicht endlich ihr wahres musikalisches Zuhause gefunden. Eins, zu dem viele teilnahmsvolle Kollaborateure gehören, dass aber nicht eingeengt ist von den Agenden und Erwartungen anderer Leute. Mir gegenüber formulierte sie es so:
»Bei meinen vorherigen Platten hatte ich immer noch die Vorstellung, dass sie eine stilistische Zuordnung ermöglichen müssten. Ich hatte immer das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen. Doch bei jeder neuen Platte dachte ich: Vielleicht passt es ja jetzt? Doch dieses Mal wollte ich mich nirgendwo einfügen, und das hat mir so viele Möglichkeiten eröffnet. Der Himmel ist die Grenze, denn ich passe einfach in keine Schublade.«
Sie hielt einen kurzen Moment inne, dann fuhr sie fort:
»Diese Platte hat mich Dinge über mich selbst gelehrt, die mir nicht ganz bewusst waren, und ich denke, im »Lockdown« kam dann eines zum anderen. Mein Wunsch, mit anderen Leuten zu arbeiten, war ein echtes Bedürfnis nach einer Form von musikalischem Kontakt, den ich dann richtiggehend zelebriert habe - nach etwas, das sogar noch viel tiefer geht, als ein Gespräch mit meinen engen Freunden. Ich habe immer schon viel mit anderen zusammengearbeitet. Das war immer da, aber mir war nie richtig klar, warum ich mir bestimmte Musiker suche, um etwas zusammen zu machen. Jetzt weiß ich es.«
In dem Song »Back Against The Wall« betrachtet die Erzählerin eine Beziehung (oder eine Welt?) in der es keine verlässlichen Zeichen und Referenzen mehr gibt.
»Disappearing thoughts - How did we get lost? - Over ages in time we took these steps - To think that we progressed.«
Aber sie beugt sich der Unbeständigkeit nicht. Sie kreiert kleine, alltägliche Rituale, um die Zweifel und Ängste zu beruhigen.
»Touch the wooded skin - Feel the warmth within - That I needed the most to stay calm - And I supposed less lost.«
»Back Against The Wall« ist ein Lied für das Verharren im Moment, und »Saturday Moon« ist voller solcher Kleinode.
Es sind Hoffungssucher. Appelle an unser besseres Selbst. Beherzte Schritte in eine trübe Zukunft.
Warm wooded skins – für uns: zum Berühren und zum Daran-festhalten.
Chris Eckman, Ljubljana, Januar 2021, in Übersetzung von Stephan Glietsch
Infos zur vorherigen VÖ:
Band: Chantal Acda & Bill Frisell
Album: Live at Jazz Middelheim
VÖ: 25.05.2018
Label: Glitterhouse/Indigo
Website: www.chantalacda.com/
Wir freuen uns sehr bei Glitterhouse Records über die kommende Veröffentlichung des Live Mitschnittes einer unvergesslichen musikalischen Nacht. Die in Holland geborene Sängerin und Songwriterin Chantal Acda als Duo vereint mit Jazz Gitarrist und Grammy Preisträger Bill Frisell, „Live at Jazz Middelheim“!
„When I wrote the songs of my record, I dreamt to hear Bill’s sounds on it. I thought this feeling would go away but it never did. So I deceided to contact him to see if he would work with me and put the last pieces of the puzzle together on this record (“Bounce Back”) . He liked the music so I flew to Seattle to record his wonderful guitarplaying on the songs. Meeting him felt like coming home. And this connection was still so fresh in my memory when I arrived back to Belgium. We kept in touch by writing eachother and sometimes he drew me funny faces. We were invited to play at the wonderfull Jazz Middelheim festival and finally ended up on stage together. In the dressingroom we quickly went through the songs but we kept all suprises for the stage. It was a wonderful experience for me. One of the highlights of my musical carreer. It wasn’t ment to be recorded but it was. So listening back to these recordings we thought it would be nice to be able to share this with the people who were there but also the people who missed it and are curious to hear what happened.
I truly hope you will enjoy these moments. These moments that will always stick with me.
With love, Chantal“
„Live at Jazz Middelheim“-Tracklist:
01. Endless
02. Notice
03. Our Memories
04. Games
05. The Other Way
06. Son